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News 2009 > Oktober 2009
Frankfurt am Main (kobinet) Wie barrierefrei ist das Reisen mit der Deutschen Bahn? Die Redaktion der Polio-Nachrichten hat Ellen Engel, Leiterin soziodemographische und mobilitätseingeschränkte Zielgruppen der Deutsche Bahn dazu befragt. Die kobinet-nachrichten veröffentlichen im folgenden das Interview.

Frau Engel, am 1. Januar 2010 wird das 2. Programm der Deutschen Bahn in Kraft treten. Welche Verbesserungen hinsichtlich des barrierefreien Reisens wird es dadurch für Menschen mit Behinderungen geben?

Ellen Engel: Ziel der Deutschen Bahn AG innerhalb des zweiten Programms ist es, auf der Grundlage der Erfahrungen mit dem ersten Programm weitere Elemente zur Optimierung der Reisekette speziell für die Zielgruppe der behinderten Menschen mit dem Zielhorizont bis 2015 zu verwirklichen, um ihnen ein möglichst barrierefreies Reisen zu ermöglichen. Die Deutsche Bahn wird dazu jetzt und in Zukunft im Rahmen der verfügbaren finanziellen Mittel ihren Beitrag leisten. So werden zum Beispiel im Fernverkehr alle neu zu beschaffenden Fahrzeuge über eine fahrzeug-gebundene Einstiegshilfe verfügen. Ebenso wird in den Bereichen des Regionalverkehrs langfristig altes Fahrzeugmaterial sukzessive durch neues Fahrzeugmaterial, das den Anforderungen nach Barrierefreiheit entgegen kommt, ausgetauscht werden.

Bei der Konzeption der ICE 3- und ICE T-Züge konnte die fahrzeuggebundene Einstiegshilfe für Rollstuhlfahrer nicht mehr berücksichtigt werden. Ab wann wird es Züge mit dieser speziellen Einrichtung im Fernverkehr geben?

Ellen Engel: Die neuen Züge im Hochgeschwindigkeitsverkehr, die innerhalb Europas verkehren werden, verfügen über eine fahrzeuggebundene Einstiegshilfe. Auch die Nachfolgefahrzeuge der heutigen Intercity-Züge, die voraussichtlich ab Dezember 2014 in Betrieb genommen werden, sind damit ausgerüstet.

Es gibt immer wieder Kritikpunkte zur derzeitigen barrierefreien Gestaltung der Reisezentren. Worauf beziehen sich diese Kritikpunkte und was soll sich in der Zukunft ändern? 

Ellen Engel: Damit mobilitätseingeschränkte Menschen das Reisezentrum ohne größere Probleme nutzen können, soll künftig ein "Barrierefreier Counter" eingesetzt werden, ebenso soll das Aufrufsystem barrierefrei gestaltet werden. Ein Prototyp wurde bereits entwickelt und kürzlich den vom Deutschen Behindertenrat benannten TeilnehmerInnen der Programmbegleitenden Arbeitsgruppe der Deutschen Bahn vorgestellt. Beim "Barrierefreien Counter und Aufrufsystem" werden u. a. folgende Verbesserungen deutlich: Durch ein taktiles Leitsystem auf dem Boden werden blinde und sehbehinderte Menschen zum "Barrierefreien Counter" geführt; hierbei fungieren die Längsstreifen als Wegweiser und die Querstreifen als Signalstreifen für bestimmte Anlaufpunkte, wie z. B. die Aufrufstele. Diese verfügt über drei unterschiedliche Knöpfe; einem für geh- und hörbehinderte Menschen mit entsprechenden Piktogrammen, einem für blinde und sehbehinderte Menschen mit Brailleschrift sowie einem für alle Kunden, die keinerlei Unterstützung benötigen. Beim Drücken der beiden erst genannten Knöpfe werden die mobilitätseingeschränkten Kunden zum "Barrierefreien Counter" gelenkt, der über einen Höhen verstellbaren Tresen als auch über eine induktive Höranlage verfügt. Außerdem wird nach der Bedienung des Knopfes für blinde und sehbehinderte Menschen die akustische Ansage der Aufrufnummer automatisch zugeschaltet. In unmittelbarer Nähe zur Aufrufstele wird der Empfangchef, der bei etwaigen Problemen Hilfe leisten soll, im Einsatz sein. Während der Wartezeit kann auf den Sitzbänken Platz genommen werden, die mit Armlehnen ausgestattet sind. Der Aufruf der Nummern und dazugehörigen Countern erfolgt sowohl über zwei Bildschirme in verschiedenen Höhen, als auch akustisch.

Die Deutsche Bahn hat zum Jahresbeginn 2009 ihren Service beim Fahrkartenkauf in mehr als 30 DB Reisezentren mit hoher Frequenz verbessert, es wurden Aufrufsysteme installiert und vielerorts auch Sitzgelegenheiten geschaffen. Welche Vorteile bietet diese Lösung Menschen mit Behinderungen?

Ellen Engel: Der verstärkte Personaleinsatz zu nachfragestarken Zeiten und die Optimierung des Empfangsmanagements sorgt dafür, dass die besonderen Wünsche und Bedürfnisse von mobilitätseingeschränkten Menschen noch stärker als bisher im persönlichen Kontakt durch das Servicepersonal berücksichtigt werden können. Darüber hinaus erleichtern Sitzgelegenheiten die Wartezeit, während die vielerorts neu installierten Aufrufsysteme für eine gezielte Lenkung der Kundenströme in den Reisezentren sorgen und die Verweildauer bis zum Erhalt einer Information oder dem Erwerb einer Fahrkarte deutlich angenehmer machen. Außerdem wird in Abhängigkeit der örtlichen Möglichkeiten versucht, die Reisezentren mit Blindenleitstreifen nachzurüsten, so dass blinde und sehbehinderte Kunden Ein- und Ausgänge sowie sämtliche Einrichtungen leichter auffinden können.

Wie sind Ihre Erfahrungen bezüglich der Nutzung der Ein-, Aus- und Umsteigehilfen von Menschen mit Behinderungen auf den Bahnhöfen? Inwieweit wird die Mobilitätsservice-Zentrale genutzt, welche Hilfeleistungen können nicht abgedeckt werden und welche konkreten Vormeldefristen gelten aktuell?

Ellen Engel: Bundesweit sind über 67 Prozent der Bahnhöfe bereits stufenfrei. Von den Bahnhöfen mit mehr als 1.000 Reisenden am Tag sind über 57 Prozent barrierefrei gestaltet. Diese Stationen sind mit mehr als 900 mobilen Hubgeräten, Rampen, Treppenliften oder Elektromobilen ausgerüstet. 1.400 Servicemitarbeiter im Bahnhof sind für die Unterstützung mobilitätseingeschränkter Fahrgäste speziell geschult, außerdem beteiligen sich die Bahnhofsmissionen und weitere Kooperationspartner der DB an diesem Service. Mit dem Umbau weiterer Bahnhöfe werden Treppen beseitigt und der Zugang zum Bahnhof erleichtert. Rund 1.473 Aufzüge erschließen die Bahnsteige. Gemeinsam mit der Mobilitätsservice-Zentrale organisieren Servicemitarbeiter an Bahnhöfen Unterstützung für Menschen mit eingeschränkter Mobilität und bieten Hilfestellung beim Ein-, Um- und Ausstieg an. Die Mobilitätsservice-Zentrale verfügt auch über eine Datenbank mit aktuellen Informationen, auf welchen Bahnhöfen der barrierefreie Zugang zum Bahnsteig möglich ist. Allein 2007 wurde fast 400.000 Mal Hilfestellung organisiert, 2008 waren es bereits 445.000 und für 2009 wird eine halbe Million Hilfeleistungen erwartet. Lediglich Beförderungswünsche von Fahrgästen mit bestimmten orthopädischen Hilfsmitteln, die die ISO-Norm für Rollstühle nicht erfüllen, können aufgrund von technischen Voraussetzungen an den Bahnhöfen und in den Zügen nicht erfüllt werden. 36 qualifizierte DB-Mitarbeiter beraten darüber hinaus Reisende mit Handicap persönlich, organisieren die Reise und schicken die gebuchten Fahrkarten auf Wunsch per Post ins Haus. Diese Hilfestellungen werden von der Mobilitätsservice-Zentrale bei der Buchung direkt in die Wege geleitet. Deutschlandweit sollen Hilfeleistungen einen Werktag vor Fahrtbeginn angemeldet werden, grenzüberschreitende Hilfeleistungen für Fahrten innerhalb Europas 48 Stunden vor Fahrtbeginn.

Es gibt immer wieder Kritik bei der Einschätzung des Servicepersonals vor Ort. Wird das Servicepersonal durch die DB speziell im Umgang mit Menschen mit Behinderungen geschult?

Ellen Engel: Als Grundlage für den Umgang mit mobilitätseingeschränkten Menschen entwickelte die Deutsche Bahn bereits im Jahre 2003 zusammen mit behinderten Menschen und DB-Mitarbeitern einen Leitfaden für das Verkaufs-, Service- und Zugbegleitpersonal, in dem die Anforderungen und Wünsche sowie der Umgang mit behinderten Menschen formuliert sind. Dieser Leitfaden dient auch als Grundlage für die Konzeption von Schulungskonzepten für Mitarbeiter in den diversen Servicebereichen. Ziel ist der Abbau von zwischenmenschlichen Kommunikationsbarrieren und damit die Förderung eines barrierefreien Dialogs im Sinne der Integration von Menschen mit Behinderung. Zu den jeweiligen Schulungsveranstaltungen werden über die mit der Deutschen Bahn im regelmäßigen Dialog stehenden Verbände und Selbsthilfegruppen Menschen mit Behinderung als Gäste eingeladen. So fanden deutschlandweit im Herbst 2008 Schulungen der Servicemitarbeiter im Bahnhof unter Beteiligung mobilitätseingeschränkter Reisender statt. Mit einer "Vor-Ort-Begehung" auf dem Bahnhof und einem offenen Erfahrungsaustausch sollen die Mitarbeiter auf die speziellen Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Reisender hingewiesen und für deren Ansprüche sensibilisiert werden.

Frau Engel, ich danke Ihnen für das informative Gespräch.

Das Gespräch mit Ellen Engel führte Margit Glasow.

 

Ellen Engel, Dipl.-Kauffrau, begann 1991, nach ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau und einem Studium der Wirtschaftswissenschaften, ihre Laufbahn bei der Deutschen Bahn AG. Seit Ende 1994 übernahm sie wechselnde Führungsfunktionen jeweils im Marketingbereich des Personenverkehrs der Deutschen Bahn AG. 

Mit Beginn 2002 war sie zunächst Leiterin der Kontaktstelle für kundenbezogene Behindertenangelegenheiten; heute ist sie als Leiterin soziodemographische und mobilitätseingeschränkte Zielgruppen im Bereich Entwicklung Zielmärkte und Angebotskonzeptionen der DB Vertrieb GmbH tätig. 

Frau Engel koordiniert konzernübergreifend alle Aktivitäten zu Behindertenbelangen der Reisenden, der Behindertenverbände und der politischen Gremien. Darüber hinaus ist sie auch für unterschiedliche marketingstrategische Projekte verantwortlich, beispielsweise für Marketingaktivitäten, die speziell auf die Zielgruppen Kinder, Jugendliche, Familien und 50 plus ausgerichtet sind. omp 

geschrieben von Kobinet Nachrichten am 30.09.2009 um 19:28 Uhr.
 
 

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